Geschlechterspezifische Verletzungen

B42

30.09.2021 Lesezeit: 3 min

In der Saison 2020/21 hieß es: Nicht schon wieder! Nationalspielerin Alexandra Popp hat verletzte sich damals mitten im Saisonendspurt schwer am Knie verletzt und musste operiert werden. Der monatelange Ausfall der Nationalstürmerin war ein herber Schicksalsschlag für die Spielerin. Zugleich fehlte sie ihrem Verein, dem VfL Wolfsburg, zu Beginn der neuen Saison und auch in der Nationalmannschaft schaffte sie erst auf den letzten Drücker den Sprung auf den EM-Zug.

Wir alle wissen, wie wichtig Alexandra Popp für das Nationalteam bei der EM war.

Zugleich wissen viele von uns auch, wie schmerzhaft und hart diese Leidenszeit sein kann.

Eine ähnliche durchlebte der Liverpooler Virgil van Dijk in der gesamten Saison 2021/22. Der Niederländer verletzte sich am 5. Spieltag so schwer am Kreuzband, dass die Saison für ihn persönlich gelaufen war. Sein Fehlen wurde beim FC Liverpool als entscheidender Faktor für eine Saison unter ihren Möglichkeiten und Zielen ausgewiesen. Zwei unterschiedliche Fälle mit gleichen Auswirkungen für die Individuen und ihre jeweiligen Vereine.

 In Kooperation mit der TU München widmet sich B42 in Zukunft verstärkt dem Thema Frauenfußball und Problemen der Spielerinnen, um so einen Beitrag zur Aufklärung der Unterschiedlichkeiten zum Fußball der Männer zu leisten.

 Als Spieler*in kann man natürlich hoffen, dass man selbst von Verletzungen verschont bleibt. Besser ist es jedoch, die Hintergründe zu verstehen, um sich aktiv vor den Ursachen von Verletzungen schützen zu können. Und das ist genau das, was meine Arbeitskollegen und ich in unserer Forschung untersuchen. Wir wollen wissen, warum sich bestimmte Personen mehr verletzen als andere und wie man präventiv diese Verletzungsanfälligkeit minimieren kann. Haben unsere Gene und das Geschlecht einen Einfluss? Und kann das Training verbessert werden, um Verletzungen zu verhindern?

Schütze dich endlich vor Verletzungen!

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Kann die Verletzungsgefahr reduziert werden? Eindeutig ja! Egal, ob Mann oder Frau, es kann präventiv Verletzungen in den Muskel-, Sehnen- und Bänderbereichen vorgebeugt werden. Ergänzend zum Fußballtraining ist korrektes und gezieltes Krafttraining zur Stärkung der Beine zu empfehlen. Mehr Hintergrundinformationen dazu sind im Folgenden vorzufinden:

In den letzten Jahren wurden im Fußball viele Daten zu Verletzungen erhoben. Heute wissen wir, dass vor allem Muskelverletzungen die häufigste Verletzungsart von Fußballerinnen sind. Knieverletzungen, wie Kreuzbandrisse, passieren zum Glück deutlich seltener. Wenn sich jedoch eine Spielerin am Kreuzband verletzt, dann steht eine lange Rehabilitationsphase bevor, die über mehrere Monate andauern kann. Trotz des Reha-Trainings kann dennoch solch eine schwere Verletzung dendie Spieler*in ein Leben lang verfolgen.  Schaut Euch dazu unseren Blogbeitrag „Kreuzbandverletzungen präventiv verhindern“ an. Die Forschung hat sich leider viele Jahre lang vor allem auf männliche Fußballspieler konzentriert, obwohl es offensichtlich ist, dass Männer und Frauen durch Ihren Körperbau und Hormonhaushalt nicht gleichzusetzen sind.

Warum wurden so offensichtliche Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Forschung lange ignoriert?

Wie immer, gibt es viele Gründe dafür. Einer der wichtigsten ist aber, dass es deutlich schwieriger ist, eine fundierte Forschung über Verletzungen an Spielerinnen zu erheben. Es gibt erste Erkenntnisse, dass Frauen sich im Verlauf des Menstruationszyklus unterschiedlich oft verletzen. Das heißt, in einer Untersuchung muss man als Forscher genau wissen, zu welchem Zeitpunkt des Menstruationszyklus sich die Spielerin verletzt hat. In vielen Untersuchungen wurde dabei der Menstruationszyklus der Frauen nicht einbezogen oder nur grob geschätzt. Der Zyklus der Frauen könnte unterschiedlicher nicht sein und deshalb sind Abschätzungen äußerst ungenau. Und auch der Menstruationszyklus von derselben untersuchten Frau kann in jeder Zyklusperiode variieren, was die Lage mit Sicherheit nicht vereinfacht. Dass nun verschiedene Verhütungsmethoden dabei einen Einfluss auf den Hormonhaushalt und den Menstruationszyklus haben, verkompliziert die Untersuchung erneut um ein Vielfaches.

Das ist einer der Hauptgründe, warum sich die Forschung viele Jahre lang vor allem auf männliche Probanden konzentriert hat. Die Ergebnisse wurden der Einfachheit halber auf beide Geschlechter übertragen. In den letzten Jahren konnte man allerdings einen Wandel beobachten, der auch dazu führte, dass Frauen nun, erfreulicherweise, spezifischer untersucht werden. Die wichtigsten Erkenntnisse dabei sind: Die Verletzungshäufigkeit von Fußballerinnen an sich ist ähnlich wie im Männerfußball. Der Anteil der schweren Verletzungen ist im Frauenfußball jedoch nachweislich höher. Fußballspielerinnen haben Berichten zufolge 21 % mehr verletzungsbedingte Fehlzeiten im Vergleich zu Männern, vor allem aufgrund von schweren Knie- und Knöchelbandverletzungen. Verletzungen des vorderen Kreuzbandes treten bei Fußballerinnen 2-8 mal häufiger auf.

Hat die Verletzungsanfälligkeit nun etwas mit dem Menstruationszyklus zu tun?

In einer vor kurzem veröffentlichten Studie widmeten sich Dan Martin und seine Kolleg*innen dem Thema der Verletzungen von professionellen Spielerinnen unter Berücksichtigung des Menstruationszyklus. Dabei wurden 113 englische Nationalspielerinnen aus allen Altersklassen über vier Jahre lang begleitet, bei denen insgesamt 156 Verletzungen registriert wurden. Nach einer näheren Analyse konnte die Forschungsgruppe aufzeigen, dass Muskel- und Sehnenverletzungen fast doppelt so häufig kurz vor dem Eisprung („späte Follikelphase“) im Vergleich zu den übrigen Phasen des Zyklus („frühe Follikelphase“ oder „Lutealphase“) vorkamen. Zudem traten 20% der Verletzungen auf, wenn bei den Fußballerinnen die Menstruation "überfällig" war.

 

Wie kann dieses Ergebnis eingeordnet werden?

Der Menstruationszyklus gliedert sich in mehrere Phasen. Die erste Hälfte des Menstruationszyklus, die Phase zwischen dem Eintreten der Menstruation und dem Eisprung, wird als Follikelphase bezeichnet. Die Zeit nach dem Eisprung und dem Beginn der nächsten Regelblutung wird Lutealphase genannt. Dieser Zyklus geht ganz automatisch vonstatten und wird von bestimmten Hormonen im weiblichen Körper gesteuert, unter anderem von Estradiol. Das ist ein weibliches Sexualhormon aus der Gruppe der Östrogene. Gerade am Ende der späten Follikelphase, also zu dem Zeitpunkt mit der höchsten Verletzungsrate, steigt die Konzentration von Estradiol stark an. Mehrere Studien haben zuvor gezeigt, dass eine erhöhte Östrogenkonzentration die Bänder- und Sehnensteifigkeit verringert. So lässt dieses Ergebnis vermuten, dass die erhöhte Östrogenkonzentration kurz vor dem Eisprung eine reduzierte Steifigkeit von Sehnen und Bändern verursachen könnte und dass dieser Verlust von Steifigkeit die Verletzungsgefahr erhöht.

 

Warum lässt diese Studie das Forscherherz schmerzen?

Die statistische Auswertung wurde sehr ungenau und zum Teil widersprüchlich erklärt. Gerade weil die Statistik das Kernstück dieser ganzen Studie ist, muss man die Ergebnisse mit Vorsicht genießen. Die getesteten Spielerinnen wurden zudem am Tag Ihrer Verletzung rückblickend gefragt, wann ihr letzter Menstruationszyklus begonnen hat. Wie oben erwähnt, ist das nur eine grobe Einschätzung. Außerdem war die Zahl der getesteten Spielerinnen relativ gering und alle Fußballerinnen, die Verhütungsmittel benutzten, wurden aus der Studie ausgeschlossen. Weitere Studien müssen nun folgen, um diese ersten Ergebnissen bestätigen und vertiefen zu können.

Was kann man nun gegen Verletzungen tun?

Wissenschaftlich ist es noch zu früh, um fundierte Ratschläge darüber zu geben, ob nun Trainingsarten über den Verlauf des Menstruationszyklus variiert werden sollten. Jedoch empfiehlt es sich allgemein die Muskeln, Sehnen und Bänder durch Training zu stärken. Eine große Übersichtsarbeit von Pertushek und Kolleginnen aus den USA von 2019 zeigte, dass beispielsweise Übungen nachweislich gegen Kreuzbandverletzungen helfen, die die Beinkraft stärken und Sprung- und Landungstraining beinhalten. Das regelmäßige Krafttraining sollte nicht vernachlässigt werden und Übungen wie Nordic Hamstrings, Lunges und Wadenheben sowie Plyometrisches Training mit Sprungübungen beinhalten. Dies wirkt sich insbesondere für Fußballerinnen nachweislich positiv aus. Weniger helfen Übungsprogramme gegen Kreuzbandverletzungen, die ausschließlich Gleichgewichts- und Dehnungsübungen enthalten. Ähnliche Ergebnisse gibt es übrigens auch für Präventionstraining gegenüber Muskelverletzungen! Kurzum, junge und erwachsene Fußballerinnen müssen ihre Beine stärken! Krafttraining festigt Muskeln, Sehnen und Bänder und verleiht dem Körper mehr Sicherheit, um so in grenzwertigen Situationen äußeren Krafteinwirkungen besser standhalten zu können. Und es gibt keine Ausrede: diese Form von Training könnt Ihr in einem Fitnessstudio oder mit Eurer B42 App jederzeit ausüben.

 

Wie geht es in den nächsten Jahren weiter?

Natürlich hilft der technologische Fortschritt auch der Forschung weiter. Zum Beispiel können wir dank moderner Smartphone-Apps nun junge und erwachsene Fußballerinnen spezifisch und anonymisiert über einen längeren Zeitraum nach dem individuellen Menstruationszyklus befragen. Ohne die Teilnahme von Probandinnen ist dies jedoch nicht möglich, weshalb wir über jede Beteiligung sehr dankbar sind. Die Eingabe ist in kurzer Zeit erledigt und durch die daraus resultierende Datenvielfalt können in Zukunft deutlichere Untersuchungsergebnisse geliefert werden. Stay tuned for more!

Bleib fit und verletzungsfrei!

Mit der B42 App für Fußballer*innen.

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Über den Autor

Dr. Philipp Baumert (geb. 1985) studierte an der Sporthochschule Köln (Sport und Leistung; Bachelor) und an der Universität Frankfurt (Sportmedizinisches Training/Leistungsphysiologie; Master) und führte seine Masterarbeit am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin durch.

Daraufhin promovierte er von 2015-2019 an der Liverpool John Moores University (Großbritannien) und erforschte hierbei die individuellen muskulären Anpassungsreaktionen nach intensiver sportlicher Belastung.

Philipp Baumert ist nun Wissenschaftler Mitarbeiter an der Professur für Sportbiologie an der Technischen Universität München, und untersucht die Stoffwechselwege im Bereich des Muskelwachstums in Kollaboration mit derTechnischen Universität Dänemark.

 

Dr. Philipp Baumert, PhD

Technische Universität München

Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften

Professur für Sportbiologie

TUM Campus im Olympiapark

Connollystraße 32

80809 München

 

Email: philipp.baumert@tum.de

Web: https://www.sg.tum.de/exercisebiology/mitarbeiterinnen/wissenschaftliche-mitarbeiterinnen/