So vermeidest du Leistenverletzungen im Fußball

B42

07.03.2022 Lesezeit: 3 min

Ein Gastbeitrag unseres Experten Lasse Ahl

Disclaimer: Folgender Text und dessen Inhalte sind keine medizinische Indikation. Solltest du an einer Verletzung leiden, dann wende dich bitte zunächst an medizinisches Fachpersonal, bevor du beispielhaft genannte Übungen ausführst.

 

Die in Fußballerinnenkreisen schon fast mystisch anmutende Muskelgruppe der Adduktoren wirft ausgewiesenen Experteninnen nicht erst seit der jüngsten Verletzung von BVB-Superstar Erling Haaland Fragen auf. Somit ist es kein Wunder, dass Spieler*innen die unter Beschwerden in der Leistenregion leiden, oftmals den Überblick verlieren.

Im Buch „Return to Play in Football“, eine fast 1.000 Seiten lange, wissenschaftliche Zusammenfassung über die häufigsten Verletzungen im Fußballsport und ihrer Rehabilitation, ist der Leistengegend ein gesamtes Unterkapitel gewidmet.

In „Return to Play in Non-operative Hip/Groin Pain“ wird sogar noch feingliedriger unterteilt. Wie bei vielen Pathologien liegt dies darin begründet, dass die Verletzungen in der Leistengegend einer Vielzahl von teilweise zusammenhängenden (multifaktoriellen) Risikofaktoren begünstigt werden können.

Warum ein Athlet*in nun „Probleme“ in der Leistengegend bekommt, ist oftmals diffus und im höchsten Maße individuell. Zu illustrativen Zwecken seien zwei berühmte Beispiele genannt. Jerome Boateng und Marco Reus, ihres Zeichens absolute Ausnahmeathleten, haben im Laufe ihrer Karriere eine schier endlose Liste an Verletzungen vorzuweisen.

Dominiert wird diese Liste von „muskulären Problemen im Adduktorenbereich“.

Wenn wir uns beide Spieler anschauen, dann fällt auf, dass sie sich in ihrer Körpergeometrie grundlegend unterscheiden. Auf der einen Seite steht Jerome Boateng, 10cm größer als der Bundesligadurchschnitt, knapp 90kg schwer. Auf der anderen Seite der knapp 20kg leichtere Marco Reus (1,80m & 71kg).

Ohne zu sehr in die anatomische Tiefe gehen zu wollen, erkennt man anhand der Beiden Spieler bereits, dass die Lösung für „Leistenbeschwerden“ nicht in einer einfachen Kausalkette zusammenzufassen ist.

Wie oben bereits erwähnt, werden die „Nicht operativen Hüft- und Leistenschmerzen“ nochmals unterteilt. Da die anatomische Komplexität der Hüft- und Leistengegend womöglich der Grund für das häufige Auftreten, sich gegenseitig bedingender Maladaptionen zu sein scheint, begrenzen wir diesen Blog-Eintrag auf eine spezifische Untergruppe: die Adduktoren.

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Leiste - die Risikofaktoren

Die Adduktoren sind in allen wichtigen Bewegungen im Fußballspiel beteiligt, ob beim Laufen, Sprinten, Springen, den Richtungswechseln oder beim Schießen.

Da der Fußball vor allem vom Sprinten, der Richtungswechsel und abrupten Kehrtwendungen lebt, sind die Ansprüche an diese verhältnismäßig langen, dünnen Muskeln vielfältig. Die Kräfte, die auf sie wirken sind oft ein vielfaches höher als das eigene Körpergewicht.

Laut einer 7-jährigen, prospektiven Erhebung der UEFA, machen die Adduktoren-bezogenen Verletzungen ca. 64% der gesamten Hüft- und Leistenverletzungen aus.

Innerhalb der Adduktoren Pathologien können wir drei Kategorien unterscheiden:

  • Hüftadduktoren Zerrungen

  • Hüftadduktoren Tendinopathien

  • Hüftadduktoren Abrisse

 

Wer bis hierher gelesen hat, könnte zu dem Schluss kommen, dass die Adduktoren ein sehr fragiles und zerbrechliches Konstrukt sind, das man am besten in „Watte“ packen sollte.

Dem ist nicht so.

Wie der gesamte menschliche Körper, passen sich auch die Adduktoren an Belastungen an. Die eigentliche Frage lautet also:

Wieviel von was ist zu viel?

Tatsächlich sind die Risikofaktoren der Adduktoren Pathologien recht vielfältig:

  • Anatomische Voraussetzungen (Größe, Gelenkstellungen (Alignment), Anomalien)

  • Übergewicht

  • Alter

  • Geschlecht

  • Vorherige Adduktoren Verletzungen

  • Kraftunterschiede von L zu R

  • Multiple Überbelastung, Belastungstoleranz (e.g. Load Management v.a. eccentric Overload)

  • Kraftdefizit in Rumpf und Unterkörper

 

Nun zu den guten Nachrichten: Viele der Risikofaktoren sind steuerbar.

Ekstrand et al (2011) identifizierten eine verminderte Kraft- und Beweglichkeit im Hüftkomplex, zusammen mit der Prävalenz von zurückliegenden Adduktoren Verletzungen, als „DIE“ Risikofaktoren einer (neuerlichen) Adduktoren Verletzung.

Warum sind dies nun gute Nachrichten?

Eine verminderte Kraft- und Beweglichkeit bedeutet zumeist, dass es sich um sogenannte konditionelle Defizite handelt und damit veränderbar ist. Wenn wir uns die oben genannten Risikofaktoren nochmals anschauen, so fällt auf, dass gleich 3 der 4 veränderbaren (Übergewicht wäre #4) Risikofaktoren durch ein spezifisches Training behoben werden könnten.

 

Rehabilitation & Prävention

Aus den drei Kategorien behandeln wir im Folgenden nur noch die Zerrungen und in kleinen Teilen die Tendinopathie.

Wer unter einer akuten Adduktoren-Zerrung leidet der fällt im Schnitt zwischen 4 – 6 Wochen aus. Die Ausfallzeit beschreibt hier jedoch lediglich die Abwesenheit im Mannschaftstraining und dem Spielbetrieb.

Wer unter einer Tendinopathie einer der Adduktorensehnen laboriert, der fällt sogar ca. 9 Monate aus.

Grundsätzlich unterscheiden sich beide Verletzungen nicht nur in der Art des betroffenen Gewebes (Muskelbauch vs. Muskel-Sehnen-Übergang), sondern ebenfalls in der Art und Weise der Behandlungszeit. Darüber hinaus kann sich eine Tendinopathie aus einer unbehandelten Adduktoren-Zerrung heraus entwickeln.

Wie bei vielen muskulären Verletzungen ist der Rat „Mach einmal Pause“ in seiner Generalität genau der Falsche.

Ja, es sollten Belastungen limitiert werden, die einen starken mechanischen Reiz auf die bereits verletzte Struktur ausüben. Also Laufen, Sprinten, Springen, Schießen und Richtungswechsel, demgemäß all das, was in einem Fußballspiel gemeinhin vorkommt.

Generell lässt sich, anhand der Evidenz ableiten, dass diejenigen Athleten*innen früher auf den Rasen zurückkehren, die früher mit einer aktiven Rehabilitation anfangen.

Wichtig zu wissen ist allerdings, was man in den bestimmten Phasen machen kann und was nicht.

Bereits aus anderen Reha-Blog-Einträgen ( Achillessehnenverletzung & Schienbeinkantensyndrom) bekannt sind die Begriffe des „Load Managements“ und des „Pain Monitorings“. Beide Steuerungseinheiten finden auch in der aktiven Hüftadduktorenrehabilitation Anwendung.

 

Belastungsmanagement bei Leistenverletzungen

Das Belastungsmanagement sollte im Besten Falle mit ausgebildetem Fachpersonal geschehen. Im Fußballsport wird zwar oftmals von einer Belastungssteuerung gesprochen, doch zumeist ist dem Laien nicht ganz klar, was sich denn nun dahinter verbirgt.

Kurz gesagt, es ist die Planung von Trainings- und Pausenzeiten in Abhängigkeit von Faktoren wie Belastungsumfang-, Intensität, Frequenz und individueller Arbeitskapazität.

Darüber hinaus ergibt sich bei einer strukturellen Verletzung noch der Umstand, dass wir die Gewebsheilungsphasen einhalten sollten.

Dennoch können wir beispielsweise bei einer Leistenzerrung in der Frühphase der Verletzung schon mehr machen als man denken würde.

Wie bereits angerissen sollten, in der Akutphase, hohe mechanische Reize gemieden werden. In dieser Frühphase der Verletzung (hier: Zerrung) bieten sich leichte, zyklische Bewegungen an, die dem Gewebe wenig Stress bereiten und durchblutungsfördernd wirken.

Man kann zirka 2-7 Tage nach dem Auftreten der Verletzung (in Abhängigkeit vom Schmerzempfinden) mit einer aktiven Rehabilitation beginnen. Sollte es das Schmerzempfinden zulassen, so kann man in dieser Zeitspanne ebenfalls mit den isometrischen (spirch "haltenden) Übungen beginnen, um das Kraftniveau der betroffenen Muskulatur aufrecht zu erhalten, oder gar zu erhöhen. Zudem können isometrische Übungen bei einigen Menschen schmerzlindernd wirken.

Ab der zweiten Woche können die dynamischen Übungen implementiert werden, selbstredend in Absprache mit dem Fachpersonal und der eigenen Schmerzwahrnehmung. Falls die Bewegungen in der zweiten Woche noch deutliche Schmerzen verursachen, oder sich nach dem Training (bis ungefähr 48 Stunden danach) verstetigen, dann Ego vor der Tür lassen und wieder einen Schritt zurück gehen. Reha ist ein Marathon, kein Sprint.

Schätzungsweise ab der 3 Woche kann in der Regel mit einem lockeren Lauftraining begonnen werden. Die weiteren Schritte wie Sprung-, Sprint-, Richtungswechsel- und Mannschaftstraining sollten von Experten*innen begleitet werden. Ein „Return to Play“- Test wäre hierbei als Goldstandard zu bezeichnen.

 

Disclaimer zu diesem Artikel

An dieser Stelle wollen wir noch einen weiteren, abschließenden Disclaimer dalassen. Alle Ausführungen zu bestimmten Zeitpunkten und Übungsimplikationen sind von uns aufgrund von Recherche und Erfahrungen zusammengetragen.

Sie sind weder feststehend noch über jeden Zweifel erhaben. Es gibt Spielerinnen, die nach 7 Tagen Post-Zerrung wieder anfangen können mit dem Lauf- und Sprinttraining. Es wird Spielerinnen geben, die erst nach 4-5 Wochen wieder in derartige Geschwindigkeitsspektren eintauchen können.

 

5 Übungen bei oder zum Schutz vor Leistenverletzungen

Adductor Rock Back

Du startest im Kniestand und spreitzt ein Bein nach außen weg und stützt dich mit der Hand auf dem Boden ab.

Indem du deinen freien Arm unter deinen Oberkörper führst, drehst du dich zunächst ein. Anschließend drehst du dich auf, indem du deinen Arm nach oben führst.

Wiederhole diese Übung auf beiden Seiten.

 

Copenhagen Hold

In dieser Übung führst du einen Seitstütz auf einer Erhöhung aus - hierzu eigenen sich besonders gut Bänke, Stühle oder Plyoboxen.

Dein oberes Bein liegt auf der Box auf, während das freie Bein vom Boden hochgenommen wird.

Wiederhole diese Übung auch auf der anderen Seite.

 

Bulgarian Squat

Du startes mit einem Fuß auf einer Box oder einem Stuhl. 

Anschließend beugst du dein vorderes Bein und streckst es wieder durch. Achte dabei auf eine stabile Oberkörperposition und kontrollierte Beug-Streck-Bewegungen.

Wiederhole diese Übung auch auf der anderen Seite.

 

Copenhagen Floor Elevation

Starte die Übung seitlich abgelegt. Achte darauf, dass dein Ellbogen unter der Schulter ist.

Anschließend streckst du dein oberes Bein durch und bringst Spannung auf deine Adduktoren. Nun bringst du dein unteres Bein nach vorne und führst es hoch und tief.

Wiederhole diese Übung auch auf der anderen Seite.

Skater Jump

Bei Skaterjumps springst du von links nach rechts. Lande dabei kontrolliert und springe anschließend explosiv wieder zurück zur Seite.

Achte auf einen stabilen Oberkörper und explosive Sprünge von Seite zu Seite.

 

Über den Autor

Lasse Ahl – Sportwissenschaftler (M.A.)

Unser Autor Lasse Ahl (33) spielt selbst seit seinem 11. Lebensjahr aktiv Fussball, betreibt darüber hinaus additives Krafttraining sowie Rad-, Lauf- und Skisport.

Er ist Sportwissenschaftler (M.A.) an der Universität Göttingen und arbeitet seit mehreren Jahren im Fitnessstudio des Uni-Sports und beim Hochschulsport.

Seit 2017 ist er darüber hinaus als Academy Education Director für die Aus- und Weiterbildung der Übungsleitenden der Universität Göttingen in den Bereichen Trainingswissenschaft und den Grundlagen der Physiologie & Anatomie verantwortlich.

 

Quellen

Serner et al. (2020) Return to Sport After Criteria-Based Rehabilitation of Acute Adductor Injuries in Male Athletes

Volker Musahl, Jón Karlsson, Werner Krutsch, Bert R. Mandelbaum, João Espregueira-Mendes, Pieter d'Hooghe (2018) Return to Play in Football An Evidence-based Approach

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