Out of the Box, Folge I: Kontaktsport Fußball

B42

30.09.2021 Lesezeit: 3 min

Endlich ist Fußballspielen im Verein wieder möglich! Das bedeutet auch: Es sind wieder Begegnungen möglich – Begegnungen, die über die soziale Blase hinausgehen, in die wir uns gezwungener- und empfohlenermaßen in Pandemie-Zeiten zurückgezogen hatten. Fußballvereine sind in Bezug auf Alter, kulturelle und soziale Herkunft oder Geschlecht sehr divers zusammengesetzt. Das wurde mir beim ersten Training nach monatelangem Lockdown wieder schlagartig klar: Im Gespräch mit unserem betagten, urmünchnerischen „Präsi“ fing ich gleich an, Dialekt zu sprechen (während in meinem Familien- und Freundeskreis Münchnerisch eigentlich kaum noch üblich ist) und von meinem 20-jährigen Mitspieler erfuhr ich 37-Jähriger im Vorbeigehen, dass ein Leben ohne TikTok zwar möglich, aber sinnlos ist.

Über Generationen und Gesellschaftsschichten hinweg kommt man in einem Fußballverein mit Menschen in Berührung – das schafft keine andere Sportart in Deutschland so gut wie der Fußball. Im Handball beispielsweise ist die Vielfalt so gering, sind beispielsweise Spieler mit Migrationshintergrund so selten, dass Kritiker den Sport als „100 Prozent kartoffeldeutsch“ verunglimpfen und Sportwissenschaftler die gezielte Ansprache bestimmter gesellschaftlicher Gruppen fordern, damit sich daran etwas ändert.

Dieses Problem hat der Fußball nicht – und das ist so viel Wert: Die Begegnungen mit Menschen außerhalb der eigenen „Bubble“ können dazu führen, dass man einander besser kennenlernt, Verständnis füreinander entwickelt, Vorurteile ab- und Freundschaften aufbaut. Für den Zusammenhalt und die Verständigung in einer Gesellschaft seien gerade diese blasendurchdringenden Begegnungen so wichtig, sagte mir die Soziologin Jutta Allmendinger kürzlich in einem Interview.

Hinzu kommt: Der Amateurfußball schafft sich eine ganz eigene soziale Realität, in der Hierarchien oder Gepflogenheiten, die außerhalb des Fußballplatzes Bestand haben, ihre Gültigkeit verlieren. So kann es auf dem Spielfeld vorkommen, dass zum Beispiel der spielmacherisch geniale 22-jährige Einzelhandels-Azubi den deutlich älteren und beruflich erfolgreichen, aber fußballerisch limitierten Akademiker nach einem schlechten Abspiel ordentlich zusammenstaucht – gemäß seinem Status als unzweifelhaft fußballerisch überlegener Spieler ist das in dieser sozialen Realität absolut gerechtfertigt.

Dass der Fußball unterschiedliche Menschen zusammenbringt, dass er eine verbindende Kraft besitzt und dabei viel Energie freisetzen kann, belegen auch viele schöne Geschichten. Bei einer Ausgabe meiner Veranstaltungsreihe Mikrokosmos Amateurfußball erfuhr ich von damals anwesenden Zeitzeugen aus erster Hand, wie es zu einem der ersten Fußballspiele zwischen einer ost- und einer westdeutschen Mannschaft nach dem Mauerfall kam: Kurz nachdem die Mauer am 9. November 1989 geöffnet worden war, spazierte Helmut Anders, damals Spieler des thüringischen Ostvereins BSG Elektronik Lobenstein, durch das nahegelegene oberfränkische Lichtenberg, das er zuletzt rund 30 Jahre zuvor hatte besuchen können.

Bei seinem Besuch ging es ihm nicht darum, die Konsumwelt des Westens zu bewundern – er hatte anderes im Sinn: Einen Verantwortlichen des ortsansässigen TSV Lichtenberg finden und mit ihm ein Freundschaftsspiel ausmachen! Lange Jahre hatte er von seinem Wohnort Lobenstein aus den unerreichbaren Lichtenberger Sportplatz sehen können und eine tiefe Sehnsucht entwickelt, dort wieder einmal Fußball zu spielen. Und diese Sehnsucht wurde schon wenige Wochen später gestillt: am 2. Dezember 1989 kamen dort die Fußballer aus Lichtenberg und Lobenstein zu einem Freundschaftsspiel zusammen. Unter den Augen von rund 500 Zuschauern trennten sich die Amateurteams einmütig 2:2. In der anschließenden „Dritten Halbzeit“ wurden Freundschaften geschlossen, die bis heute anhalten.

Fußball ist Kontaktsport – nicht nur im sportlich-physischen, sondern auch im sozialen Sinne. Doch auch wenn diese Diversität gerade in Fußballvereinen heute Normalität ist, auch wenn der Fußball so viele Menschen miteinander verbindet und viel zum gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen kann: ein Selbstläufer ist Diversität nicht. Dafür hat mich mein Hartplatzhelden-Kollege Younis Kamil, der seit Jahren in der Fußballjugendarbeit aktiv ist und das Projekt YouMo! ins Leben gerufen hat, nochmal sensibilisiert. Er ist aus seinen Erfahrungen heraus der Ansicht, dass Diversität auch gemanagt und gestaltet werden muss. Gerade Jugendlichen muss der Respekt vor anderen gesellschaftlichen Gruppen, vor anderen Denkweisen und Werten oftmals gezielt vermittelt werden.

Mein Fazit ist also: Der Fußball schafft die besten Voraussetzungen für sozialblasendurchdringende Begegnungen. Aber dennoch braucht es Menschen und Ansätze, damit diese Voraussetzungen auch in eine positive Kraft übersetzt werden können.

Über den Autor

Tim Frohwein, Jahrgang 1983, ist Soziologe und setzt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander.

Er unterrichtet an der Hochschule München, ist Redaktionsmitglied beim Zeitspiel-Magazin und organisiert die Veranstaltungsreihe Mikrokosmos Amateurfußball.

Seit bald zwanzig Jahren spielt er in den Herrenmannschaften des FC Dreistern München

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