Protest matters – auch in Katar

B42

13.11.2022 Lesezeit: 3 min

Protest ist immer unangenehm. Das liegt in seiner Natur. Denn, Protest richtet sich gegen einen Status Quo. Gegen einen existierenden gesellschaftlichen Zustand, eine Entwicklung oder eine Person. Und verlangt Veränderung. Fordert Wandel. Protestiert wird immer gegen etwas. Das unterscheidet den Protest von der Demonstration. Das heißt aber auch, dass wir in dem Moment, in dem wir beginnen zu protestieren, all denjenigen auf die Füße treten, die den Status Quo unterstützen, ihn zumindest hinnehmen und sich damit arrangieren.

Wenn plötzlich gegen einen gesellschaftlichen Status Quo protestiert wird, mit dem wir uns schon immer arrangiert hatten, ist es komplett menschlich, diesen Protest erst einmal von sich zu weisen. Seine Legitimität zu hinterfragen. Weil er nämlich genau das Gleiche mit unseren subjektiven Lebenswelt gemacht hat. Er stellt das, womit wir uns arrangiert hatten, in Frage. Und damit greift dieser Protest auch immer uns als Person an. So nehmen wir es zumindest wahr.

Schein und Scheinheiligkeit

Es gibt inzwischen zahlreiche Beispiele für Proteste, die uns als Gesellschaft unangenehm sind. Aktuell sind es Klimaproteste und Gruppen wie die „letzte Generation“. Weniger wegen der Thematik – ein Großteil der Deutschen würde von sich behaupten, dass ihnen das Klima wichtig ist – viel mehr wegen der ergriffenen Mittel. Und weil uns diese Mittel damit konfrontieren, wie viel ernster und endgültiger manche von uns die Situation einschätzen als die schweigende Mehrheit.

In den Jahren zuvor war einigen von uns eine andere Thematik ähnlich unangenehm.
Jahrzehntelang haben wir uns in der Gewissheit gesonnt: Rassismus ist kein deutsches Problem. Nicht einmal ein Europäisches. Wir haben mit dem Finger auf den Rest der Welt gezeigt und gleichzeitig zufrieden festgestellt, dass unsere Gesellschaft doch so viel liberaler und gerechter sei. Hier wird niemand wegen der Hautfarbe, der Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der Nationalität diskriminiert oder angegriffen.        

Spätestens die ZDF-Dokumentation „Schwarze Adler“ hat uns letztes Jahr gezeigt, dass Rassismus in Deutschland kein Einzelfall ist. Sondern ein Muster. Und sie hat uns gezeigt, dass wir lernen müssen zuzuhören. Denn aus Zuhören erwächst Verständnis. Und nur wer verstanden hat, kann sich solidarisieren.

Leider vergessen wir gerne, wie schwer es uns selbst gefallen ist und nach wie vor fällt, uns mit unseren eigenen gesellschaftlichen Problemen und Ungerechtigkeiten zu beschäftigen. Vor allem dann, wenn wir beginnen vor fremden Haustüren zu kehren.

Die EM als Beispiel von (gescheiterter) Solidarisierung

Die Europameisterschaft der Männer vor eineinhalb Jahren hat uns gezeigt, wie schwierig das sein kann und wie viel Gegenwehr uns erwartet, wenn wir uns entscheiden uns geschlossen gegen Rassismus oder Homophobie zu positionieren. Englische und russische Fans pfiffen die eigenen und gegnerischen Spieler aus, als diese vor Anpfiff auf die Knie gehen, um sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zu solidarisieren. Die Allianz Arena in München musste grau bleiben. Diese Gegenwehr und Unmutsbekundungen zu gesellschaftlichen Werten, die für die meisten von uns selbstverständlich sind, tat weh. 

Weiter, immer weiter –
bis nach Katar

Und genau das muss der Ansporn sein weiterzumachen. Weiter zuzuhören, sich zu solidarisieren und zu protestieren. Solange noch eine einzelnen Person Anstoß an Regenbogenflaggen und Kniefällen nimmt, solange muss der Finger weiter in die Wunde gelegt werden. Es liegt in der Natur des Protests auf Gegenwehr zu stoßen. Sonst wäre er obsolet. Und er ist oft dort am wirksamsten wo die Gegenwehr zu Beginn am Größten ist.

Womit wir bei der aktuell bevorstehenden Weltmeisterschaft in Katar wären. Denn genau dort und im Zusammenhang mit dieser unglückseligen WM kann der Protest seine größte Wirkung entfachen.

Wir werden die Vergabe nach und die Austragung in Katar nicht mehr verhindern. Aber wir können aktiv mitgestalten, für was diese Weltmeisterschaft am Ende steht.

Wie wir mit dieser WM
umgehen können

Dafür sollten wir nicht belehrend oder mahnend mit dem Finger auf andere Länder und Kulturen zeigen, sondern in einen Dialog auf Augenhöhe gehen. Werte sind kein Exportgut und wir sind auch keine Missionare. Werte werden vor allem dann adaptiert, wenn ihr Wert begriffen wird. Und jede*r hat das Recht zu reflektieren und dazuzulernen. Am besten durch konstruktiven Dialog.

Diesen Dialog lassen wir uns allerdings auch nicht nehmen. Weder von (inter)nationalen Sportverbänden noch von unserem Gastgeberland. Wer die Weltgemeinschaft zu sich einlädt, muss diese Gemeinschaft und ihre Werte auch ertragen. Wir haben nicht darum gebeten, für diese WM nach Katar zu schauen.

Aber wir sind auch nicht bereit diesen Status Quo widerspruchslos zu akzeptieren.

Eine ständige Thematisierung der bestehenden Missstände ist deswegen essenziell. Manche Themen haben sich eben nicht erledigt, sobald der Ball rollt.

Ein Spiel dauert 90 Minuten. Menschenrechte gelten ein Leben lang.

Dieser Protest ist gleichzeitig eine Demonstration. Eine Demonstration der Stärke und der Werte. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese WM nur ein Turnier ist. Sie ist nicht der Fußball.