Nationalspielerin Lina Magull: Es geht nicht um Neid oder Geld, sondern um Anerkennung!

B42

13.07.2020 Lesezeit: 3 min

Ich bin Profi-Fußballerin. Das ist ein Privileg, ich bin mir dessen absolut bewusst.

Ich liebe diesen Sport seit ich denken kann und bin dankbar, dass ich den Fußball, meine Leidenschaft, zum Beruf machen konnte. Dieses Privileg empfinde ich mittlerweile auch als Verpflichtung. Dafür, mich einzusetzen – für junge Nachwuchsspielerinnen, für meine Kolleginnen und für die Bedeutung des Frauenfußballs als Ganzes. Denn dieser hat in Deutschland nicht annähernd den Stellenwert, den er verdient.

Um eines vorab deutlich zu machen:

Es geht hier nicht um Mitleid, auch nicht um eine Neid-Debatte im Hinblick auf den Männerfußball. Es geht einzig und allein darum, Missstände zu benennen, Positiv-Beispiele zu erläutern – und darauf basierend konstruktive Vorschläge zu formulieren. Ziel muss es sein, zumindest eine Diskussion über die Bedeutung und Anerkennung des Frauenfußballs in Deutschland anzuregen.

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Wir opfern oft mehr als die Männer

Das ist mir auch deshalb so wichtig, weil ich seit meiner Kindheit hautnah erleben konnte, wie sich die Qualität des Frauenfußballs verbessert hat. Ja, er ist nicht so athletisch wie der Männerfußball, er ist weniger dynamisch. Am Ende ist er anders, aber er hat ganz eigene Qualitäten – und vielleicht sollten wir auch einfach aufhören, die Frauen und die Männer auf dem Platz zu vergleichen.

Dass sich der Frauenfußball in Deutschland qualitativ so positiv entwickelt hat, liegt auch daran, dass in den Vereinen immer professioneller gearbeitet wird – harte Arbeit, die viele übersehen.

Wir Frauen trainieren genauso intensiv wie die Männer – und bringen teilweise höhere Opfer. Manchen mag diese Aussage provokant und realitätsfern erscheinen, aber ich will sie begründen: Wir trainieren beim FC Bayern ein- bis zweimal am Tag. Dazu kommt bei den meisten von uns die zusätzliche Belastung neben dem Fußball in Form von Arbeit oder Studium.

Wir verzichten genauso auf Partys, kontrollieren unser Essverhalten, streben nach dem großen Ganzen, sind diszipliniert. Wir ordnen dem Fußball alles unter – auch unsere Familienplanung.

Dass es sich Profi-Sportlerinnen nicht leisten können, mitten in der Karriere Kinder zu bekommen, wird oft weggewischt. Wenn ein 25-jähriger Profi drei Kinder hat, was wunderbar ist, stellt das für seine Karriere keinerlei Problem dar.

Dazu kommt: Viele von uns verlassen schon früh ihre Familien, weil es im Umkreis kein ambitioniertes Frauenteam gibt – und haben auch später nicht die (finanziellen) Möglichkeiten, die Familienmitglieder an unseren Wohnort zu holen oder zumindest des Öfteren einfliegen zu lassen. Und nochmals: Wir machen das gerne. Wir sind keine Opfer. Wir sind dankbar, dass wir auf dem Platz stehen.

Die Qualität des Frauenfußballs steigt, die Zuschauerzahlen sinken

Knapp 850 Zuschauer hatte, vor Corona, ein durchschnittliches Spiel der Frauen-Bundesliga in der Saison 2018/19. Im Ausland – ziehen wir mal die (Frauen)Fußballnationen England (+78 Prozent), Frankreich (+ 27 Prozent) und die USA (+149 Prozent) heran – sind die Zuschauerzahlen, wenn man sie beispielsweise mit der Saison 2012/13 vergleicht, rapide gestiegen.

Das Erschreckende: In Deutschland sind sie gesunken. Dabei werden Kenner des Frauenfußballes einig konstatieren, dass die Qualität in den letzten Jahren ein weitaus höheres Niveau erreicht hat. Der deutsche Frauenfußball ist athletischer, technisch und taktisch anspruchsvoller geworden. Warum also bleiben die Zuschauer aus? Was machen andere Ligen besser?

Dieser Umstand ist sicher auch darauf zurückzuführen, dass es heute zu wenige Identifikationsfiguren gibt, zu denen junge Fußballerinnen aufschauen können. Welcher Passant kann den aus dem Stehgreif drei Fußball Nationalspielerinnen nennen? Wir brauchen wieder Namen wie Birgit Prinz – Identifikationsfiguren, die über eine gewisse Präsenz und Bekanntheit verfügen. Dazu müssen wie mehr tun: bei den Vereinen selbst, im Marketing und in der Medienpräsenz.

Die Vereine sind gefordert

Ein Grund für die begrenzte Strahlkraft des Frauenfußballs ist sicherlich die mangelnde Verzahnung mit dem Männerfußball. Mannschaften, wie der FC Barcelona schaffen es, die Prominenz der Herren auf die Damen abstrahlen zu lassen. Es gibt gemeinsame Mannschaftsfotos, Medientermine, Events und das grundsätzliche Bestreben, die Frauenteams am Erfolg der Herren partizipieren zu lassen.

Ein einfacher, konstruktiver und leicht umzusetzender Vorschlag: In England ist es Gang und Gäbe, dass bei Autogrammstunden Spieler des Herren- und des Damenteams vor Ort sind. Das wäre doch ein Anfang. Genauso könnten die Frauen immer wieder in die jeweiligen Vermarktungskanälen der Vereine integriert werden – egal ob Social Media, der eigenen Videokanal oder manche Pressekonferenz. Bei der Verzahnung der Männer- und Frauenwelt ist also noch viel Luft nach oben.

Viel kritischer ist allerdings die Tatsache zu sehen, dass die meisten der bekannten Bundesliga-Klubs den Frauenfußball sträflich vernachlässigen oder beiseiteschieben. Ein Blick in die Flyeralarm-Frauen-Bundesliga: Der Prozentsatz der in der Liga vertretenen Teams mit einer hochklassigen und bekannten Männerabteilung liegt bei 58 Prozent. In England liegt dieser Anteil bei 100 Prozent, in Frankreich und Spanien bei 75.

Große deutsche Fußballvereine wie Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart mit hunderttausenden, davon vielen weiblichen Fans haben nach wie vor keine eigene Frauenabteilung. Gleichzeitig werden auch an der Basis Frauenteams strukturell benachteiligt und untergeordnet. Aktuelles Beispiel: der 1. FC Mönchengladbach.

Hier hat sich der Vereinsvorstand kürzlich dazu entschieden, die Mannschaften der 1. und 2. Frauen-sowie die U17-Juniorinnenmannschaft nicht für den Spielbetrieb der Saison 2020/2021 zu melden. Grund: Die erste Herrenmannschaft ist in die Oberliga aufgestiegen.

Erfahren haben es die betroffenen Spielerinnen kurz vor der Meldefirst – es gab, wenn man den Betroffenen glauben mag (was ich tue) keine vorherige Absprache. Das mag ein Extrembeispiel sein, aber es ist sinnbildlich für den Umgang des Frauenfußballs in vielen deutschen Vereinen.

Wir brauchen mehr Medienpräsenz

Darüber hinaus brauchen wir mehr Präsenz in den Medien – im TV, in den Zeitungen, Magazinen und Online-Portalen, auf Social Media. Wir haben zig Tausende junge Spielerinnen, die nach Vorbildern suchen, zu Profi-Spielerinnen aufschauen wollen.

Ich will den Herrenfußball gar nicht schwächen – ich verfolge die Bundesliga intensiv mit und bin großer Fan meiner männlichen Kollegen. Aber es ist diese Über-Präsenz, die mich stört. Eine Über-Präsenz, unter der nicht nur der Frauenfußball leidet. Auch andere Sportarten kommen zu kurz.

Ich muss mich schon manchmal wundern, welche Lappalien in den Medien hochgekocht werden, während andere Sportarten völlig unter dem Radar verschwinden. Wenn ein Zoff auf dem Trainingsplatz mehr medialen Raum einnimmt als das Pokalfinale der Frauen, irritiert mich das.

Dabei denke ich insbesondere an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Er hat die Verantwortung und die Möglichkeit, Themen anders zu gewichten als Medien, die nur auf kurzfristige Klickzahlen angewiesen sind. Warum ist davon nichts zu spüren?

Ich verfolge jeden Bundesliga-Spieltag der Herren intensiv mit. Aber warum müssen die Tagesthemen direkt nach der Sportschau noch ausführlich über die Partien der 1. Liga berichten – während der Frauenfußball, aber auch andere Sportarten völlig untergehen.

Gegenbeispiel: Die BBC bringt bald die zweite Staffel einer Doku über die Frauenmannschaft von West Ham United heraus. Und auch sonst gibt es im UK zahlreiche Plattformen für den Frauenfußball, wie die App FA Player, wo alle Spiele der Frauen live gestreamt und kommentiert werden, während das Thema in Deutschland wenig greifbar ist. Ein bisschen mehr Diversität täte uns also manchmal ganz gut.

Es geht nicht um Neid, es geht um Wahrnehmung

Darüber hinaus brauchen wir auch im Marketing neue Ansätze. Ich bin nicht naiv: Es geht im Profi-Fußball um viel Geld. Das muss erwirtschaftet werden. Der Punkt ist: Auch wir Fußballerinnen können Vorbilder sein – oder in Geld gesprochen: Auch wir können Märkte erobern.

Ich will bewusst ein Positiv-Beispiel nennen: Adidas hat bei seiner letzten Promotion-Aktion nicht nur Fotos aktueller Profis des FC Bayern München geschossen, sondern auch ein paar unserer Spielerinnen abgelichtet. Das sind tolle Ansätze. So bekommen wir Aufmerksamkeit und so können wir weibliche Vorbilder aufbauen.

Und ja, natürlich würden wir auch gerne so viel Geld verdienen, um uns allein durch den Fußball finanziell absichern zu können, aber tatsächlich geht es uns in erster Linie darum, den Frauenfußball zu stärken.

Wir stehen für Leidenschaft, Freude und Enthusiasmus.

Und das wollen wir gerne teilen. Und, als ergänzende Anmerkung: Wir haben meist Bock auf Marketing-Aktivitäten und sehen sie nicht als notwendiges Übel an, wie viele der männlichen Kollegen.

Wir stehen für Leidenschaft und nicht für den Drang nach Millionengehältern

Ich liebe den Fußball. Er ist mein Leben. Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit habe, jeden Tag auf dem Platz zu stehen. Weil es eben nicht in erster Linie um Geld geht. Fußball ist so viel mehr. Das wissen wir Fußballverrückten doch alle.

Deshalb habe ich mich übrigens entschieden, Markenbotschafterin bei B42 zu werden. Ich bekomme keine Überweisungen für meine Postings, es geht auch nicht um Selbstmarketing. Es geht darum, den Fußball gemeinsam besser zu machen – auf allen Ebenen. Lasst uns also die Diskussion führen: Wie können wir den Frauenfußball nachhaltig verbessern? Ich freue mich drauf!

Eure Lina Magull

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