Kann vegane Ernährung deine Leistung steigern?

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08.06.2020 Lesezeit: 3 min

Filmanalyse aus sportwissenschaftlicher Sicht

 

„The GameChangers“ – hat die vegane Ernährung befeuert, wie selten eine mediale Aufbereitung zuvor. Aber sollten wir wirklich alles „essen“, was uns von den Medien „vorgekaut“ wird, ohne es zu hinterfragen? Um mit den Worten von Layne Norton (Anm. d. Red. PhD in Ernährungswissenschaften, Powerlifter, Autor) zu beginnen: 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine PTBS  (posttraumatische Belastungsstörung) entwickelt habe, aufgrund der schrecklichen Essens-Dokumentationen, die ich bisher gesehen habe.”

Ist vermutlich ein wenig übertrieben. Eine gelungene Dokumentation zum Thema Essen sollte aber vor allem beide Seiten der „Medaille“ beleuchten.  Dies geschieht in der Regel selten, denn nicht zuletzt möchte eine Dokumentation heutzutage auch unterhalten.

Die letzten „großen Ernährungsdokus“ wie Fed Up, What the Health oder Supersize Me machten genau dies ebenfalls NICHT. Entsprechend hatte ich eine Vorahnung, wie dieses erste, großangelegte „vegan-sport-science-Ding“ wohl werden könnte.

(Bevor du weiterliest! Auf unserem Blog findest du eine weitere Betrachtung zum Thema vegane Fußballer)

Mögliche Interessenkonflikte der Produzenten

Mittlerweile haben mich diverse Analysen, Reviews und Kommentare zu diesem Film erreicht. Dadurch wurden auch immer mehr Hintergrundinformationen zu den beteiligten Personen des Films bekannt.

Der Executive Producer des Films ist James Cameron, welcher zufällig CEO einer Erbsen-Protein-Firma ist und unlängst über 100 Millionen Dollar in das Unternehmen investierte.

Nicht dass diese Infos nicht öffentlich zugänglich wären, doch natürlich würde ein James Cameron damit nicht freiwillig hausieren gehen. Leider ist dies im großzügigsten Falle eher „unglücklich“, wenn man sich selbst den Anspruch einer ´Science based & critical documentary´ auferlegt hat.

Schlussendlich gibt es in der Wissenschaft etwas, was sich ´Conflict of Interest´ nennt, den man immer dann angeben sollte, wenn man mit offenen Karten spielen möchte.

Was weiterhin komisch anmutet, ist die Tatsache, dass die interviewten „Experten“ allesamt vegane Produkte vertreiben, von Arni’s Supplementfirma ganz zu schweigen.

Es geht nicht um vegan VS. nicht-vegan sondern um Transparenz

Versteht mich an dieser Stelle nicht falsch, es ist legitim sein Geld in dem Sektor zu verdienen, den man analysiert oder in irgendeiner Form beurteilen möchte. Das Einzige, was man dann zu tun hat: „Geh offen damit um“. Im Film selbst wird dann übrigens darüber gemosert, dass die Milch- und Fleischindustrie ihre Studienergebnisse „erkaufen“ würde. Schwierig.

Zunächst sei noch gesagt, dass ich nicht jeden einzelnen Punkt der Dokumentation beleuchten werde. Ich habe mich auf ein paar eingängige Beispiele beschränkt, um deutlich zu machen, warum diese Dokumentation vieles ist, aber nicht wissenschaftlich.

Wer allerdings einen „rant“ gegenüber der veganen Ernährung oder einer pflanzenbasierten Lebensweise erwartet, wird einigermaßen enttäuscht werden. Hier soll es nicht darum gehen einen Lebensstil oder eine Ernährungsform abzuwerten. Vielmehr soll deutlich werden, dass diese Dokumentation eher dem Sensationalismus zuzuordnen ist und weniger als seriöse Informationsquelle dient.

Ehre und Stärke – eine Scheinkausalität?

Immer wenn jemand behauptet, dass auf ein Ereignis A direkt das Ergebnis B folgt, spricht man von einer Scheinkausalität.

Im Film „The Game Changers“ zieht sich dies wie ein roter Faden durch. So wird argumentiert, dass die Exhumierung einiger Gladiatoren deutlich zeige, dass sich diese „vorwiegend vegetarisch“ ernährten – und zwar freiwillig. Diese Untersuchung indiziert jedoch keinesfalls, auf eine rein pflanzliche Ernährung zu schließen.

Schlussendlich sagt sogar der im Film hervorragend inszenierte Studienautor, dass die Gladiatoren gar nicht gänzlich vegetarisch oder gar vegan lebten. Zumal Dr. Kanz hier unterschlägt, dass andere Untersuchungen eine eher Meeresfrucht-Pflanzenkombi-Ernährung nahelegen.

Weiterhin ist anzunehmen, dass die vegetarische Ernährung eher im Zusammenhang mit anderen Beweggründen stand: Ein Großteil der Gladiatoren wurde als Sklaven rekrutiert. Eine ausgewogene fleisch- und fischreiche Ernährung war den unterhaltenden Institutionen wohl zu teuer.

Doch vor allem deuten die Funde daraufhin, dass die Gladiatoren durch eine hohe kohlenhydrat- und fettreiche Kost gemästet wurden, da subkutanes Fett vor Verletzungen schützte.

Fazit: Gerade das Gladiator-Argument wirkt konstruiert, denn am Ende des Tages behauptet selbst im Film niemand, dass die Gladiatoren vegan lebten oder aßen.

Der „perfekte“ Athlet

Ein weiteres Merkmal, welches sich durch den ganzen Film zieht, ist die Tatsache, dass einzig und allein Spitzenathleten als Beispiele genannt werden. Hierbei bietet sich die Frage an, welchen Mehrwert dies für einen Breitensportler hat.

Warum Vergleiche zwischen Spitzen- und Amateursportlern hinken

Was also bringen einem durchschnittlichen Kreisliga-Kicker jetzt die Infos, dass James Wilks (UFC Fighter), Scott Jurek (Ultraläufer), Patrik Baboumian (Strongman), Nate Diaz (UFC Fighter), Bryan Jennings (Schwergewichtsboxer), Lewis Hamilton (Formel 1 Fahrer) oder Kendrick Ferris (Gewichtheber) vegan leben bzw. sich vegan ernähren? Es spielt schlichtweg keine Rolle, welcher Athlet sich wie ernährt, da ihr nicht wie diese trainiert.

Dass sich Usain Bolt im olympischen Dorf laut eigener Aussage Unmengen an Chicken Nuggets reingefahren hat, sogar an Wettkampftagen, ist ebenso unerheblich. Denn ihr seid nicht Usain Bolt.

Dies heißt im Umkehrschluss nicht, dass nicht jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen mit der veganen Ernährung machen darf oder sogar sollte.

Doch die Aufmachung dessen kommt mehr als fragwürdig daher. Zuerst wird Connor McGregor gezeigt, wie er Nate Diaz vor dem Kampf wörtlich kompromittiert. Zugegeben, wenn jemand Witze über andere Ernährungsformen macht und den Kampf hinterher verliert, ist das blöd gelaufen. Doch kann man daraus schließen, dass Diaz den Kampf aufgrund seiner veganen Ernährung gewonnen hat?

Im weiteren Verlauf werden dann Jurek, Mitchell, Bausch, Ferris und Baboumian gezeigt, die aufgrund ihrer Nahrungsumstellung Rekorde brachen. Das wirkt auf den ersten Blick ziemlich überzeugend. Wir wollen nicht ausschließen, dass dies für diese Individuen genau das Richtige ist.

Wir gegen alle Anderen – eine fragwürdige Argumentationskette

Nun tritt zum ersten Mal Dr. James Loomis auf, der sich im Nachgang für die Ausführungen in „The Game Changers“ rechtfertigt und diese Ernährungsumstellung mit einem völlig aus der Luft gegriffenen Argument unterstützt. Dazu wird eine Argumentationskette aufgebaut, in der „alle Anderen“ behaupten würden, tierische Proteine wären die wichtigste Quelle für muskuläre Leistung.

Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, wieso dies hier aufgeführt wird. Ich habe noch nie einen Sportler getroffen, der tatsächlich der Überzeugung ist, dass Proteine (egal aus welcher Quelle) DIE Energiequelle bei körperlicher Anstrengung sind. Offenbar ein Strohmann-Argument, welches dafür benutzt werden soll, tierische Proteine abzuwerten. Loomis tut dies mit einem Tortendiagramm, in dem er Kohlenhydrate und Proteine gegenüberstellt. In Gänze gibt das Diagramm dann 100% an – 100% von was?

Wenn er den täglichen Gesamtumsatz eines Menschen meint, dann ist dieses Diagramm maximal unsinnig. Denn wieso sollte jemand eine solche Makronährstoffverteilung aufweisen?

Bei den zunächst angegebenen 60% Proteinen wären das bei einem durchschnittlichen Spieler (73kg) bummelige 4,38g (!) pro Kilogramm Körpergewicht. Ich müsste nach der Rechnung an EINEM TAG ca. 1,5 kg Rinderfilet (ca. 1.600kcal) oder 16 (!) Becher (8kg) Soja-Joghurt essen (ca. 4.000kcal).

Proteine sollten nicht als potenter Driver für lang andauernde sportliche Belastungen gesehen werden

Nicht nur aufgrund dieser impraktikablen Lebensmittelauswahl wirkt Dr. Loomis Darstellung äußerst fragwürdig, vielmehr noch durch den generellen Widerspruch gegen die allgemeine Lehrmeinung der energiebereitstellenden Stoffwechselprozesse des menschlichen Körpers.

Denn ja, Proteine sind essenzielle Makronährstoffe und gerade für sporttreibende Menschen sehr wichtig, aber nicht als potenter Driver für lang andauernde sportliche Belastungen, sondern eher als Strukturelement im Muskel- und Gewebeaufbau.

Wie das oben genannten Beispiel erkennen lässt, ist es schlicht nicht praktikabel einen hohen Energieverbrauch ausschließlich mit natürlichen Proteinquellen decken zu wollen. Schon gar nicht für die Gladiatoren, deren Lebensmittelquellen einen Bruchteil heutiger Auswahlmöglichkeiten ausmachten.

Somit sind/waren oftmals energiedichte Kohlenhydrate (aus pflanzlichen Quellen) in der Ernährung enthalten. Zumal heutzutage die herkömmliche Makronährstoffaufteilung von sportlich aktiven Menschen in etwa so aussehen könnte: 40% Kohlenhydrate, 30% Fette, 30% Proteine.

Fazit: Für die Macher des Films bietet sich eine neutrale Betrachtungsweise der Wirklichkeit scheinbar nicht an. Es soll bewusst in Schwarz und Weiß, also in Fleisch und Pflanzen unterteilt werden, um den eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Dass es hierbei keine wirkliche Trennschärfe zu geben scheint, passt nicht so recht in den Handlungsrahmen.

No Plants, No Gains?

Nachdem durch die Filmemacher festgestellt wurde, dass tierische Proteine kein guter Energielieferant für muskuläre Leistung seien, folgt die nächste Strohmann-Argumentation.

UFC-Fighter Wilks beginnt dieses Narrativ damit, dass er immer glaubte tierische Proteinquellen seien den pflanzlichen überlegen. Nun sei er aber eines Besseren belehrt, schlussendlich hätten es auch „the big guys“ (hier: Ferris & Baboumian) geschafft, ein Gros an Muskelmasse aufzubauen – ganz ohne Tiere. Er befeuert diese Theorie damit, dass er immer glaubte, er könne nicht genug Proteine aus Pflanzen aufnehmen, da er als Athlet insgesamt einen erhöhten Mehrbedarf an Proteinen habe.

Logisch dürfte doch in diesem Zusammenhang allerdings sein, dass Athleten insgesamt einen Mehrbedarf an allen Mikro- und Makronährstoffen haben, da sie einen wesentlichen höheren Verbrauch aufweisen als der Durchschnittsmensch. Wer allerdings mehr verbraucht, kann entsprechend auch mehr essen.

Wieso er nun glaubt, dass dies durch eine pflanzenbasierte Ernährung nicht klappe, bleibt sein Geheimnis, denn: „ […] I am not sure anyone has ever claimed that is not possible […].“

Vegane Athleten brauchen mehr Wissen über die Qualität der jeweilige Proteinquelle

Vegetarische oder vegane Athleten brauchen allerdings mehr Wissen bezüglich der verschiedenen pflanzlichen Proteinquellen. Denn vergleicht man tierische und pflanzliche Proteinquellen Gramm für Gramm, dann sind die tierischen Quellen tatsächlich überlegen.

Natürlich hat dieser Argumentationsaufbau einen konkreten Nutzen für die Filmemacher. Es soll versucht werden dem Zuschauer zu suggerieren, man sei einem omnipräsenten Mythos aufgesessen. Dass es diesen Mythos in der Realität so gar nicht gibt, spielt keine Rolle.

Doch worauf fußt dieser konstruierte Mythos? Darauf hat wiederum Dr. Loomis eine Antwort. Er stellt sogleich die These auf, dass die anderen Wissenschaftler behaupten würden, pflanzliche Proteine seien unvollständig an essenziellen Aminosäuren. Doch dies behauptet niemand.

Was wir aus den meisten Untersuchungen wissen, ist, dass nicht das Fehlen essenzieller Aminosäuren das Problem ist. Es geht vielmehr um die Bioverfügbarkeit und Absorption der jeweiligen Proteinquelle(n).

Die Praktikabilität der jeweiligen Ernährungsform muss beachtet werden

Wir reden also über eine Ratio von Quelle zu Quelle und von Gramm zu Gramm. Somit ist nicht entscheidend, wie viele Proteine nun in dem jeweiligen Lebensmittel in natürlicher Form vorhanden sind, sondern wieviel davon schlussendlich zum „Verbauen“ übrigbleiben und wie diese die Muskelproteinsynthese beeinflussen:

„Das Zusammenspiel von progressivem Krafttraining und der Verfügbarkeit von ausreichend Proteinen, unabhängig der Quelle, führt zum Kraft- und Muskelaufbau“.

Eben genau diese Tatsache lässt die „Dokumentation“ gänzlich unter den Tisch fallen. Es wird nur versucht die tierischen Quellen in ein schlechteres Licht zu rücken.

„Solange die Gesamtheit der Proteine ausreichend ist, spielt die Quelle keine Rolle.“ Das können wir erst einmal so stehen lassen.

Fazit: Insofern ist es in der veganen Ernährung, auch im Leistungssport, natürlich möglich seine Muskulatur ausreichend gut mit Proteinen zu versorgen.

So bleibt „The Game Changers“ aber dennoch einen weiteren Punkt schuldig: das objektiv beste Training und das objektiv beste Ernährungsprogramm bringen den Einzelnen nicht voran, wenn die Praktikabilität nicht gegeben ist.

Der Erdnussbutter-Steak Fall

Folgendes Beispiel kann man nur anbringen, wenn man die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Ernährungsphysiologie wissentlich außer Betracht lässt oder, was hier wahrscheinlicher ist, den Unterschied zwischen absoluten und relativen Häufigkeiten missachtet.

Standpunkt im Film ist: Erdnussbutter hat im Vergleich zu Eiern und Steak mehr Proteine. Vergleichen wir handelsübliche Erdnussbutter mit einem Steak, gemessen in 100g, dann hat die Erdnussbutter 9g (30g vs. 21g) Protein mehr zu bieten.

Also ran an das Glas Erdnussbutter? Naja, so einfach ist es dann doch nicht.  Denn wenn jemand nun diese 100g Erdnussbutter auf einen Schlag isst, dann schlägt diese Mahlzeit mit knapp 600kcal zu buche. Wenn ich dagegen ein 100g mageres Rinderfilet zu mir nehme, habe ich ca. 120kcal gegessen.

Ein Rechenbeispiel zur Veranschaulichung

Nun setzen wir dies noch in „echte“ Mahlzeiten um:

Sagen wir, man isst eine Scheibe Toastbrot mit den üblichen 30g Erdnussbutter. Nun hat man in dieser Mahlzeit schätzungsweise 13g Protein zu sich genommen (9g Erdnussbutter, 4g vom Toast) und insgesamt 290kcal. Mein persönliches Sättigungsgefühl würde hier nicht einsetzten, aber nehmen wir an, es wäre so.

Jetzt haben wir ein 200g schweres, mageres Rinderfilet (ca. 240kcal) mit 42g Protein und 300g grünen Bohnen (ca. 100kcal) sowie 2 großen Kartoffeln (ca. 160g mit 114kcal).

In Summe kommen wir hier also auf 440kcal, was 150kcal mehr sind als das Erdnussbutter-Toast. Allerdings wurden damit auch 660g (!) Nahrung aufgenommen, wovon ca. 460g pflanzlichen Ursprungs sind. Dagegen bringt unser Sandwich nur knapp 70g auf die Waage. Es wären also 6 (!) Toasts nötig, die zusammen 1.740 kcal enthalten, um auf 460g pflanzliche Nahrung zu kommen.

Ein fragwürdiger Vergleich

Zum Vergleich: der deutsche Verbrauchsdurchschnitt liegt bei knapp 2.200kcal/Tag. Anhand dieser Zahlen sieht man nun, wie unsinnig das gewählte Beispiel ist. Denn für einen Durchschnittsmenschen, der täglich 8 Stunden arbeitet und eventuell noch 1,5 Stunden an 3 Tagen der Woche zum Sport geht, ist diese Art der Ernährung nicht durchführbar. Vor allem nicht, wenn man einen leistungssteigernden Effekt erreichen möchte.

Das Beispiel illustriert, wenn auch ungewollt, dass es offenbar nicht wichtig ist, auf seine Mikronährstoffzufuhr zu achten. Ironischerweise hätte jeder Mensch in unserem Steakbeispiel viel mehr Gemüse zu sich genommen als bei der veganen Erdnussbutter-Variante.

Fazit: Uns ist klar, dass es viele sehr hervorragende Gerichte veganen Ursprungs gibt, die sich lohnen konsumiert zu werden. Das Ziel ist hier nicht, vegane Gerichte zu diffamieren, sondern die Unsinnigkeit der im Film gewählten Beispiele herauszustellen.

Man on Fire

Als nächstes suggeriert die Dokumentation, dass wir mit veganer Ernährung alle Entzündungen sofort loswerden könnten. Doch ist das so?

Vorab sei gesagt, dass Entzündungen ein weites und komplexes Feld sind und das folgende den Themenkomplex allenfalls umreißt.

Erhöhen tierische Produkte die Inflammationsmarker?

Ohne eine kurzfristige Entzündungsreaktion (z.B. Stimulierung von mTOR durch (Kraft-) Training) werden keine Reparationsprozesse in Gang gesetzt, was ein Ausbleiben von Anpassungsvorgängen zur Folge hätte und es gäbe keine Reaktion auf einen Krankheitserreger durch das Immunsystem.

Anders verhält es sich mit chronisch erhöhten Entzündungsmarken im Körper. Sie können ein Hinwies auf eine systematische „Dysfunktion“ der Immunreaktion sein, hervorgerufen durch einen bestimmten Lebensstil, genetische Disposition und/oder pathologische Veränderungen.

 

Der Film fliegt sodann über die bekannten Schlagwörter wie TMAO , Arteriosklerose, Bluthochdruck, Diabetes Mellitus Typ 2, KHK und die Blutfettwerte. All das werde ohne Fleischkonsum ad hoc besser und eine pflanzenbasierte Diät wirke gar protektiv, so die Aussage des Films.

Auch in diesem Fall wird die (individuelle) Ausgangssituation nicht mit dem Endresultat in ein Verhältnis gesetzt, sondern nur das Endprodukt aus einer „pflanzenbasierten Diät“ zum Anlass genommen, um den Standpunkt zu zementieren.

Denn es ist sehr wohl entscheidend, ob ein Individuum nun starker Raucher ist, übergewichtig und unter akutem Bewegungsmangel leidet und im Zuge dessen seine Ernährung und seinen Lifestyle ändert.

Nehmen wir weiterhin an, dieses fiktive Individuum hat nun eine typisch westliche Ernährung verfolgt, in welcher kein bis wenig Gemüse, viele Fertigprodukte & Fast Food an der Tagesordnung waren sowie 2x am Tag eine Blätterteigbackware. Wird diesem konstruierten Menschen eine pflanzenbasierte Ernährung helfen? Wahrscheinlich ja.

Daraus zu schließen, dass allein das Weglassen von allen Fleischprodukten zu dieser Verbesserung führte, wäre ein logischer Fehlschluss, denn womöglich ist es der angehobene Gemüseanteil.

Große Fragezeichen hinter der Testsystematik

Schlussendlich korrelieren gar die verrücktesten Dinge miteinander. Der Storch bringt die Kinder und der Konsum von Margarine korreliert wunderbar mit der Scheidungsrate in Maine.

Die stetige, wohl gewollte Missinterpretaion der beobachteten Korrelationen, gepaart mit dem Durcheinanderwerfen von absoluten und relativen Risiken ist Pseudowissenschaft.

Ein Beispiel, wie der Film dies im Falle der Entzündungsmarker handhabt, haben Layne Norten und Asker Jeukendrup in ihren Artikeln benannt. Dabei geht es um die Behauptung des Films: „[…] viele, viele Studien hätten gezeigt, das tierische Produkte die Inflammationsmarker erhöhen würden“.

In der Tat haben einige Fall-Kontroll-Studien derlei Assoziationen gefunden. Allerdings ist dies nicht überraschend. Beachtet man die z.T. vorhandenen Vorerkrankungen und den damit verbundenen Lebensstil der untersuchten Personen, zeigt sich nach und nach ein verändertes Bild. Abseits der Korrelation zwischen Entzündungsmarkern (CRP, TNF-α, IL-6) und dem Konsum von rotem Fleisch findet sich dann eine weitere Verbindung:

Die Beziehung zwischen hohem Körperfettanteil und Entzündungsmarken scheint nämlich weitaus konsistenter zu sein. Zumal der Terminus „rotes Fleisch“ bis dato noch nicht einheitlich definiert wurde.

Fazit: In „The Game Changers“ ist meist sehr stark verarbeitetes rotes Fleisch zu sehen, oftmals in Form von Burgern, was eher eine Kombination verschiedener hochkalorischer Energieträger ist. Zudem wird bei diesen Lebensmitteln das Vorhandensein von Gemüse gänzlich ausgeklammert.

Ähnlich verhält es sich dann mit den gezeigten Feuerwehrleuten, welche ihrerseits unter schlechten Blutfettwerten leiden. Der Zuschauer weiß nicht, wie diese sich vor der kurz skizzierten Intervention ernährten. Womöglich sind die veränderten Werte auch auf den stark angehobenen Gemüseanteil zurückzuführen.

Kein seriöser Ökotrophologe würde indes behaupten, dass die generelle Abwesenheit von Gemüse und Obst gesund wäre. Ganz im Gegenteil.

Private Cancer

Natürlich darf in einer Dokumentation gegen Fleischkonsum die Korrelation zwischen (rotem) Fleisch und „Krebs“ nicht fehlen.

Wir sind weder Onkologen, noch haben wir tiefgehenden Einblick in die Behandlung oder die Pathogenese der verschiedenen Krebsarten.

Was wir allerdings wiedergeben können, ist zum einen, dass es den einen Krebs (denn es gibt leider viele verschiedene Arten) nicht gibt und zum anderen, dass die Entstehung einer Krebserkrankung immer multimodal/multikausal ist.

Die Problematik der Filmemacher mit auftretenden Scheinkausalitäten und dem Unterschied zwischen absoluten und relativen Risiken umzugehen haben wir nun hinlänglich skizziert. Dennoch:

Es wird behauptet das Risiko an verschiedenen Krebsarten zu erkranken würde durch den Fleischkonsum um ca. 20% ansteigen. Das wäre ein enormer Anstieg des Risikos und dafür würde es sich in der Tat mehr als lohnen den Fleischkonsum aufzugeben.

Relatives VS. absolutes Risiko

Doch diese 20% bezeichnen ein relatives Risiko. Was bedeutet das? Das relative Risiko beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass es in einer Gruppe verglichen mit einer anderen Gruppe (hier Fleischesser vs. Nicht-Fleischesser) unter bestimmten Voraussetzungen zu einem bestimmten Ereignis kommt. Also ist der Unterschied zwischen Fleischessern und Nicht-Fleischessern 20% (laut dieser einen Untersuchung).

Um ein Gesamtbild zu haben, benötigt man nun das absolute Risiko. Das absolute Risiko beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass es unter bestimmten Voraussetzungen zu einer gesundheitlichen Auswirkung kommt.

Das absolute Risiko ist abhängig von einer Vielzahl von Variablen (Alter, Geschlecht, Lebensstil, genetische Disposition, Ernährung, körperlicher Aktivität und Rauchen etc.). Nehmen wir hier das Darmkrebsrisiko. Dies liegt bei ca. 5%. Steigert sich nun das Darmkrebsrisiko um ein relatives Risiko von 20%, bedeutet das für die einzelne Person, dass das absolute Risiko von 5 auf 6% ansteigt an dieser Form des Krebses zu erkranken.

Nicht in die Betrachtung eingeflossen sind die individuellen Voraussetzungen/Risikofaktoren. Anhand der Beispiele sehen wir, wie die Autoren des Films vorwiegend gearbeitet haben. Ein Trugschluss in Bezug auf „Wissenschaft“ ist, dass sie am laufenden Band bahnbrechende Erkenntnisse liefert.

Der rote Faden der „Dokumentation“: Pseudowissenschaft

Eine knapp zwanzigprozentige Risikosteigerung von Darmkrebs wäre in der Tat eine absolute Sensation, vor allem ist es aber eine Schlagzeile. Dem gegenüber ist eine Erhöhung des Risikos um knapp 1% eben keine Meldung wert.

Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft ist allerdings, dass das zwanzigprozentige relative Risiko dennoch nicht einfach abgetan wird, nur weil es in absoluten Risikobewertungskriterien marginalen Einfluss hat.

Fazit: Wie schon beschrieben, werden die durch epidemiologische Untersuchungen erhobenen Datenpunkte in weitere Hypothesen übertragen und diese gegebenenfalls weiteren Überprüfungen unterzogen.

Somit ist der wissenschaftliche Prozess am Ende des Tages zweierlei. Zum einen kann er für den Laien trocken und öde sein und zum anderen ist es ein äußerst langwieriger und teilweise schwer nachzuvollziehender Prozess. Was er in grob 99% der Fälle nicht ist: Ein Kassenschlager.

Abschluss

Zusammenfassend können wir also feststellen, dass diese Doku wohl eher dem Sensationalismus zuordnen ist. Ehrlich gesagt hatte ich aufgrund der bereits gelesenen Rezensionen auch keine anderen Erwartungen, leider.

Denn diese Doku verpasst eine große Chance dem Ottonormalverbraucher gute und wertvolle Informationen in Bezug zur (pflanzenbasierten) Ernährung zu vermitteln.

Es ist ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie man Menschen mit Pseudoinformationen für bzw. gegen eine Sache emotionalisieren kann, da man ihnen keine Möglichkeit der Differenzierung gibt.

Zu einigen Fragestellungen habe ich keine Stellung bezogen (Ethik, Umwelt), da ich dazu nicht viel sagen kann, gerade in Bezug auf die ethische und moralische Frage des Fleisch- und Tierproduktkonsums. Dieses Kriterium ist auch für mich ein Antrieb den (Massen-) Fleischkonsum zu überdenken. Zumindest, wenn es um die Herkunft des jeweiligen Produktes geht.

Doch was sind die Quintessenzen für den Leser, der sich über vegane (Sport-) Ernährung informieren möchte? Oder für generell ernährungsinteressierte Menschen? Sollte man aus gesundheitlicher Sicht nun noch Fleisch essen?

Die Kurzversion der Antwort wäre ja.

Doch natürlich ist dies an Bedingungen geknüpft. Vorher sollte klar definiert werden, was genau Fleisch für den einzelnen denn ist. Ich für mein Teil meine mit Fleischkonsum keinesfalls die Cervelatwurst für 0,49 Cent. Weiter beinhaltet mein Verständnis von omnivorer Ernährung auch nicht in der Woche 3 Tiefkühlpizzen und 4 Mal Currywurst mit Pommes zu essen.

Gesunder Lebensstil ist ein kontextueller Handlungsrahmen. Moderater Fleischkonsum mit viel Gemüse und Hülsenfrüchten, ausreichend variable Proteinquellen sowie mindestens 3x die Woche intensive Bewegung wären wohl ein guter Start.

Muss ich dafür gänzlich auf meine Bratwurst nach dem Fußballspiel verzichten? Nein, nicht wenn du das nicht möchtest. Wenn du es aber willst, dann probiere dich aus. Zu veganer Ernährung gibt es eine Vielzahl von guten Informationsquellen, die weder Dogmen vertreten noch ein Schwarz/Weiß-Denken fördern, wozu dieser Film nicht gehört.

Wichtig zu wissen ist, dass es keine „perfekte“ Ernährungsform gibt und nur weil Serge Gnabry seine Leistung mit veganer Ernährung steigern konnte, lässt dies keine Rückschlüsse auf die Allgemeinheit zu.

Wie viele Blogger und Wissenschaftler vor mir feststellten: Iss dein Gemüse, iss deine Proteine und trainiere hart. – Nur DAS changed your Game!

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Über den Autor

Lasse Ahl – Sportwissenschaftler (M.A.)

Unser Autor Lasse Ahl (33) spielt selbst seit seinem 11. Lebensjahr aktiv Fussball, betreibt darüber hinaus additives Krafttraining sowie Rad-, Lauf- und Skisport. Er ist Sportwissenschaftler (M.A.) an der Universität Göttingen und arbeitet seit mehreren Jahren im Fitnessstudio des Uni-Sports und beim Hochschulsport. Seit 2017 ist er darüber hinaus als Academy Education Director für die Aus- und Weiterbildung der Übungsleitenden der Universität Göttingen in den Bereichen Trainingswissenschaft und den Grundlagen der Physiologie & Anatomie verantwortlich.

Quellen:

[1] https://www.biolayne.com

[2] plantbasednews.org/news/james-camerons-140-million-drive-create-vegan-protein.

[3] https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0110489

[4] https://outofthiscentury.wordpress.com/2010/01/30/fat-gladiators-modern-misconceptions-regarding-the-dietary-practices-of-swordsmen-of-the-ancient-roman-arena/

[5] https://www.atlasobscura.com/articles/what-did-gladiators-eat

[6] https://medium.com/@drjamesloomis/my-beef-with-the-mens-health-review-of-the-game-changers-65826d389859

[7] https://www.mysportscience.com/single-post/2019/11/06/Is-game-changers-game-changing-or-is-it-sensationalism

[8] Tang JE, Moore DR, Kujbida GW, et al. Ingestion of whey hydrolysate, casein, or soy protein isolate: effects on mixed muscle protein synthesis at rest and following resistance exercise in young men. J Appl Physiol (1985) 2009;107(3):987-92. doi: 10.1152/japplphysiol.00076.2009 [published Online First: 2009/07/11]

[9] van Vliet S, Burd NA, van Loon LJ. The Skeletal Muscle Anabolic Response to Plant- versus Animal-Based Protein Consumption. J Nutr 2015;145(9):1981-91. doi: 10.3945/jn.114.204305

[10] Yang Y, Churchward-Venne TA, Burd NA, et al. Myofibrillar protein synthesis following ingestion of soy protein isolate at rest and after resistance exercise in elderly men. Nutr Metab (Lond) 2012;9(1):57. doi: 10.1186/1743-7075-9-57 [published Online First: 2012/06/16]

[11] Wilkinson SB, Tarnopolsky MA, Macdonald MJ, et al. Consumption of fluid skim milk promotes greater muscle protein accretion after resistance exercise than does consumption of an isonitrogenous and isoenergetic soy-protein beverage. Am J Clin Nutr 2007;85(4):1031-40. doi: 85/4/1031 [pii] [published Online First: 2007/04/07]

[12] Phillips SM. Nutrient-rich meat proteins in offsetting age-related muscle loss. Meat Sci 2012;92(3):174-8. doi: 10.1016/j.meatsci.2012.04.027 [published Online First: 2012/05/29]

[13] https://books.google.de/books?id=-CPFDAAAQBAJ&pg=PA68&lpg=PA68&dq=ingestion+of+beef+and+soy+of+mps&source=bl&ots=Rq8s2EVUBq&sig=ACfU3U1qdjd_4RpkxE5pmyL2xuc537N92Q&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiDhsG1tKbnAhXN-KQKHV-sC04Q6AEwAHoECAcQAQ#v=onepage&q=ingestion%20of%20beef%20and%20soy%20of%20mps&f=false

[14] “Protein – Which is Best? – NCBI.” 1 Sep. 2004, ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3905294/. Accessed 4 Nov. 2019.

[15] https://statistik-und-beratung.de/2013/05/von-storchen-und-babys-die-partielle-korrelation/

[16] https://wissenschafts-thurm.de/grundlagen-der-statistik-korrelation-ist-nicht-kausalitaet/

[17] http://www.tylervigen.com/spurious-correlations

[18] https://edubily.de/kontroverses/witz-des-jahres-tmao-aus-rindfleisch-macht-nicht-krank-sondern-gesund/

[19] Edubily - "Ja zum Vegetarismus, wenn Nahrungscholesterin krank macht" (nicht mehr online)

[20] Edubily - "Wie kranke Herzen heilen können" (nicht mehr online)

[21] “Substitution of red meat with soybean but not non- soy … – NCBI.” ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30918843. Accessed 4 Nov. 2019.

[22] “Effects of Total Red Meat Consumption on … – NCBI – NIH.” 13 Jun. 2019, ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6574076. Accessed 4 Nov. 2019.

[23] “Dietary Red and Processed Meat Intake and Markers … – NCBI.” 19 Jun. 2017, ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5540319/. Accessed 4 Nov. 2019.

[24] “Isocaloric Diets High in Animal or Plant Protein Reduce … – NCBI.” 17 Oct. 2016, ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27765690. Accessed 4 Nov. 2019.

[25] https://www.eufic.org/de/understanding-science/article/absolutes-risiko-gegen-relatives-risiko-was-ist-der-unterschied


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