Lina Magull und Joshua Kimmich im Interview

B42

24.05.2021 Lesezeit: 3 min

Sie ist Kapitänin der Frauenmannschaft des FC Bayern, Nationalspielerin und Markenbotschafterin von B42. Er ist einer der Führungsspieler beim FC Bayern, eine Konstante in der deutschen Nationalmannschaft und einer der besten Mittelfeldspieler der Welt.

Lina Magull trifft auf Joshua Kimmich – und spricht mit ihm über Fußball unter Corona-Bedingungen, die individuelle Trainingssteuerung neben dem Platz und die Bedeutung des Frauenfußballs in Deutschland.  

 

 

"Die Fans gehören einfach zum Fußball"

Lina: Lieber Joshua, am 17. Mai 2020 hattet ihr gegen Union Berlin das erste Geisterspiel. Hast du dich zwischenzeitlich etwas daran gewöhnt oder ist es immer noch total surreal, in ein menschenleeres Stadion einzulaufen? 

Joshua: Man gewöhnt sich ein Stück weit daran, aber klar ist, dass die Fans einfach dazu gehören. Ich habe es am Anfang noch als Challenge gesehen – zurück in die Vergangenheit, wie in der Jugend, wo du ohne Fans auf dem Sportplatz kickst. Und ich fand gut, dass das Spiel ein Stück weit ehrlicher geworden ist. Aber am Ende lieben wir den Sport mit allen Emotionen. Die fehlen eindeutig. 

Lina: Was meinst du mit „ehrlicher“? 

Joshua: Das Zeitspiel, dass man auf dem Platz liegen bleibt, alles wurde weniger. Der Fokus lag mehr auf dem Spiel an sich. Welche Erfahrung hast du gemacht? 

Lina: Natürlich ist der Kontrast nicht so stark wie bei euch. Wenn ich mir eure Spiele anschaue, frage ich manchmal, wie ihr denn in einem vollen Stadion miteinander kommuniziert. Es ist natürlich auch bei uns ruhiger. Du hörst die Anweisungen des Trainers besser und nimmst die Anfeuerungen von deinen Mitspielerinnen viel stärker wahr. Das ist für mich auch die positive Seite:

Das Teamgefühl kommt noch positiver zur Geltung. Das spürst du auf dem Platz, wenn die Verletzten oder die Auswechselspielerinnen dich pushen. Aber natürlich fehlt am Ende die Atmosphäre. Und was mich auch betrübt, ist das Familie und Freunde nicht ins Stadion dürfen. Das zieht mich schon runter.  

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"Eine gute Kommunikation auf dem Spielfeld hat uns in Bundesliga und Champions League geholfen"

Joshua: Ja, die Kommunikation ist natürlich leichter. Das hat uns sowohl in der Bundesliga als auch in der Champions League geholfen. Wir haben ein richtig gutes Mannschaftsgefüge und pushen uns gegenseitig. Und es macht schon etwas aus, wenn du vorne zusammen ins Pressing gehst und dich einfacher über Kommandos abstimmen kannst. Das ist mit größerer Lautstärke natürlich schwieriger. 

Lina: Guter Punkt, ich habe bei uns auch den Eindruck, dass die Qualität zugenommen hat, weil die Verständigung einfacher ist. Das wird auch in den Mannschaftsanalysen immer wieder angesprochen: Dass wir uns stärker auf dem Platz helfen müssen. Glaubst du, dass die Situation auch Auswirkungen auf die Leistung mancher Spieler hat – im Positiven, weil sie den Druck der Ränge nicht mehr spüren oder im Negativen, weil ihnen das Pushen der Zuschauer fehlt? 

Joshua: Auf jeden Fall. Es gibt Spieler, die haben eher Schwierigkeiten, damit umzugehen, wenn von außen jeder Fehlpass kommentiert wird oder man ausgebuht wird. Andere wiederum sind konzentrierter und fokussierter, wenn Zuschauer da sind. Ich habe für mich gemerkt, dass die Anspannung in einem vollen Stadion schon eine andere ist. Es macht einen Unterschied, ob du vor leeren oder vollen Rängen einen Fehlpass spielst. Genauso fehlen aber  auch die positiven Emotionen von außen, mit denen du ein Stück weit über dich hinauswachsen kannst. 


"Es ist mental anstrengend, sich alle drei Tage auf Top-Niveau zu pushen"

Lina: In einem Interview hast du sehr ehrlich darüber gesprochen, was der Druck des engen Spielplans mit einem macht, den die Corona-Situation mit sich bringt. Wenn man alle drei Tage Top-Niveau abrufen muss. Dass es da auch mal Tage gibt, bei denen man sagt: „Heute habe ich eigentlich keinen Bock“. Das stelle ich auch bei mir fest. Man muss Wege finden, um zur Ruhe zu kommen, sich eine Auszeit zu gönnen. Wie gehst du damit konkret um bzw. welche Mechanismen habt ihr als Mannschaft, um auch mal runter zu kommen? 

Joshua: Natürlich ist es mental anstrengend, sich alle drei Tage auf Top-Niveau zu pushen. Aber wir haben mit Hansi Flick einen Trainer, der uns auch mal ein oder zwei Tage frei gibt, um vom Kopf her ein bisschen runter zu kommen. Und wir haben eine sehr gute Eigendynamik in der Mannschaft. Wenn ich dann auf dem Platz stehe, ist der Fokus und das gemeinsame Ziel bei jedem von Beginn an zu spüren. 

Lina: Die Belastung ist derzeit aufgrund des engen Spielplans besonders hoch. Wie steuerst du das individuell neben dem Mannschaftstraining – um besser zu regenerieren und auf dem Platz immer 100 Prozent geben zu können? 

Joshua: Ich bin kein Anhänger von purer Regeneration neben den Spielen, sondern mache eher mal ein Krafttraining. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper so schneller regeneriert und nicht in ein Loch fällt. Ich vertraue da oftmals meinem Gefühl und höre auf meinen Körper. Wie ist das bei dir? 

Lina: Ähnlich. Ich arbeite am liebsten individuell im Kraftbereich – mit Gewichten oder funktional. Das mache ich seit Jahren und habe damit nur gute Erfahrungen gemacht. An freien Tagen gehe ich tendenziell eher mal Laufen und genieße die frische Luft. Wie arbeitest du grundsätzlich individuell an deiner Fitness? Hast du einen Personal Trainer oder ein Team um dich herum? 

Joshua: Ja, ich arbeite privat mit Tim Lobinger zusammen, den ich in Leipzig kennen gelernt habe. In München haben sich später unsere Wege wieder gekreuzt. Ich habe gemerkt, dass man auch bei einem dichten Spielplan sinnvoll an gewissen Bereichen arbeiten kann. 

"Im Training geht es auch darum, die Intensitäten eines Spiels zu simulieren"

Lina: Habt ihr denn eine individuelle Belastungssteuerung?  

Joshua: Beim Training werden die Werte von unserem Athletik-Trainer analysiert, der sie direkt auf seinem iPad sehen kann und dann beispielsweise entscheidet, ob wir nochmals eine Wiederholung der Übung oder Einheit machen. Da geht es zum Beispiel darum, die Intensität eines Spiels im Training zu simulieren. Aber jetzt während der englischen Wochen spielt das so gut wie keine Rolle. Da geht es fast ausschließlich um Regeneration zwischen den Spielen. Wie macht ihr das bei euch konkret? Wie das bei euch gesteuert? 

Lina: Unser Athletiktrainer bei Bayern achtet schon darauf, wie die Belastungssteuerung ist. Es gibt jeden Tag eine Abfrage, bei der man anhand von sechs unterschiedlichen Fragen angibt, wie es einem geht. Da ist auch der Menstruationszyklus mit eingerechnet, der für die Leistung oft noch unterschätzt wird. Grundsätzlich passt er die Belastung immer an und ist gerade in dieser Zeit sehr stark auf Regeneration fokussiert. Er gibt uns da Optionen für die individuelle Regeneration an die Hand und wir haben einen gewissen Freiraum bei der Umsetzung. Was ich dich noch fragen wollte: Wie muss man sich das Training des jungen Joshua Kimmich im Jugend- bzw. Amateurbereich vorstellen? Hast du da auch individuelle Zusatzschichten geschoben? 

"Ich bekam das Feedback, für eine Profi-Karriere zu klein und zu schmächtig zu sein"

Joshua: Ja, ich habe schon immer versucht, mehr zu machen und zusätzlich zum Mannschaftstraining zu trainieren. Das war sicher nicht immer sinnvoll, weil es natürlich oft nicht angeleitet und daher abgestimmt war. Manchmal hätte ich meinem Körper auch mehr Ruhe gönnen müssen. Ich erinnere mich da besonders an die Zeit beim VfB Stuttgart in der Jugend. Da bekam ich das Feedback der Trainer, dass ich für eine Profi-Karriere zu klein und zu schmächtig bin. Da bin ich regelmäßig in den Kraftraum, um an mir zu arbeiten. 

Lina: Ich hatte in jungen Jahren Unterstützung, weil ich auf dem Internat war. Aber ich bin sicher, dass es für meine Entwicklung gut gewesen wäre, durch einen klaren Plan noch stärker die Eigeninitiative zu ergreifen. Darum glaube ich auch, dass gerade digitale Lösungen hier eine große Hilfe sein können. Hätte dir damals eine App für ergänzendes individuelles Training geholfen? Und glaubst du, dass es darüber gelingen kann, Amateuren die Expertise von Profis zu vermitteln? 

Joshua: Im physischen, im athletischen Bereich auf jeden Fall – vor allem, was Dynamik und Schnelligkeit angeht. Früher hätte ich da an einigen Stellen besser arbeiten können; da gab es sicher Potenzial. Entscheidend ist aber, dass du Bock auf Fußball hast und die Motivation von dir selber kommt. 

Lina: Joshua, natürlich will ich mir dir heute auch über Frauenfußball reden. Wie nimmst du denn die Bedeutung des Frauenfußballs wahr? Verfolgst du zum Beispiel die Frauenmannschaft bei den Bayern? 


"Es ist schade, dass Frauen- und Herrenmannschaft beim FC Bayern nicht am selben Ort trainieren"

Joshua: Leider gibt es im Fußball eine komplett andere Wahrnehmung von Frauen- und Herrenfußball. Da sind andere Sportarten weiter, beispielsweise Tennis oder der Skisport. Was den FC Bayern angeht, finde ich es beispielsweise schade, dass die Frauen am Campus trainieren und wir an der Säbener Straße. Wenn alle an einem Ort wären, würden wir das Miteinander, das gemeinsame Streben für den Klub noch viel stärker leben können. 

Lina: Das sehe ich auch so. Es wäre wirklich optimal, wenn wir alle an einem Fleck wären. Das wäre ein riesiger Mehrwert, einen besseren Austausch mit den Männern zu haben. Ich merke ja, wie wertvoll der Austausch mit den Bayern-Amateuren ist, seit sie bei uns auf dem Campus trainieren. Da sehe ich einen total wertschätzenden Austausch mit Mehrwert für alle. Ich denke, dass die Vernetzung mit den Profis auch außerhalb des Platzes weitaus besser sein könnte – beispielsweise durch gemeinsame Events, Autogrammstunden, wenn das nach Corona wieder möglich ist? 

Joshua: Natürlich. Ich finde, dass vor allem Events eine große Kraft haben und hier noch viel Potential liegt. Früher beispielsweise fanden das DFB-Pokal-Finale der Männer und der Frauen an einem Tag in Berlin statt. Vielleicht hätte man gerade auch bei den großen Turnieren die Möglichkeit, das zu verbinden und dadurch eine größere Aufmerksamkeit aber auch Gemeinsamkeit zu schaffen. 

Lina: Und wenn der FC Bayern den Plan machen würde, gemeinsame Autogrammstunden mit den Frauen zu veranstalten oder andere Wege zu finden, um die Aufmerksamkeit der Männer auf die Frauen zu übertragen, wärst du dafür offen?

Was Lina Magull außerdem über das Thema "Equal Pay" denkt, kannst du hier lesen.


"Im Frauenfußball ist der Fokus mehr auf dem Spiel als solches - ohne Schwalben und Inszenierungen"

Joshua: Für mich wäre das nur logisch. Beispielsweise waren Serge Gnabry und Leroy Sane vor Kurzem bei einem gemeinsamen Dreh mit Spielerinnen vom FC Bayern. Gerade wenn man zwei Teams auf Spitzenniveau hat, ist das doch eine gute Chance, etwas Gemeinsames zu machen und etwas voran zu bringen. Und ich finde, das ist auch im Zusammenschluss mit anderen Sportarten möglich. 

Lina: Ich glaube, dass wir voneinander lernen könnten. Was mir beispielsweise positiv bei den Männern auffällt, ist, dass es ihnen besser gelingt, auf dem Platz ihren Kopf auszuschalten und mit diesem enormen Druck umzugehen. Auch den Umgang mit der teils heftigen Kritik von außen finde ich bewundernswert. Da muss man schon eine starke Persönlichkeit sein. Gibt es etwas, dass dich an den Frauen beeindruckt? 

Joshua: Bei den Frauen ist der Fokus stärker auf dem Spiel als solches. Bei den Männern hast du schon den ein oder anderen Spieler, der seine eigene Marke ist und versucht, diese dann auch auf dem Platz zu präsentieren, beispielsweise bei einem Torjubel. Da ist mehr Inszenierung. Bei den Frauen ist weniger Show, weniger Schwalben, weniger Übertreibung. Und sie sind gefühlt härter im Nehmen. 

Lina: Lieber Joshua, es hat mir wahnsinnig Spaß gemacht, mich mit dir auszutauschen. Vielen lieben Dank für deine Zeit. 

Joshua: Das kann ich nur zurückgeben. Danke dir! 

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